Wie kann es gelingen, in einer Zeit des Fachkräftemangels, sinkender Kinderzahlen und wachsender gesellschaftlicher Anforderungen gute frühkindliche Bildung zu sichern? Diese Frage stand im Zentrum der Veranstaltung „AWO im Gespräch“, zu der der AWO Landesverband Thüringen am 17. Juni in die Erfurter Mehlhose eingeladen hatte.
Seit 2017 bringt das bewährte Gesprächsformat Fachpraxis und Politik in entspannter Atmosphäre miteinander ins Gespräch – dieses Jahr besonders aktuell: Die Situation der Kindergärten steht nicht nur auf der politischen Agenda, sondern auch im medialen Fokus. Ausgelöst durch den starken Rückgang der Geburtenzahlen wird landesweit über mögliche Schließungen und den Erhalt von Standorten diskutiert – was bei Eltern, Fachkräften und Trägern zu großer Verunsicherung führt.
Frühkindliche Bildung braucht verlässliche Strukturen
„Die aktuellen Ansprüche, Herausforderungen und Realitäten in der Thüringer Kindergartenlandschaft sind nicht einfach – aber genau deshalb braucht es Veranstaltungen wie diese, um gemeinsam über Ideen und Impulse zu sprechen und klare Erwartungen an die Politik zu formulieren“, betonte Katja Glybowskaja, Geschäftsführerin des AWO Landesverbands Thüringen, zur Eröffnung. Sie verwies auf die großen Stärken des Thüringer Systems – wie die lange Betreuungszeit, die hohe Qualifikation des pädagogischen Personals und die landesweit hohe Betreuungsquote. Zugleich machte sie auf bestehende Herausforderungen aufmerksam: Die personelle Ausstattung hinkt im Bundesvergleich weiterhin deutlich hinterher, die Finanzierung orientiert sich an sinkenden Kinderzahlen statt an qualitativen Standards, und bewährte Projekte wie „Vielfalt vor Ort gestalten“ stehen vor dem Aus.
„Wichtig ist, dass wir im Diskurs über Strukturen und Zahlen nicht die Qualität aus dem Blick verlieren – denn die Anforderungen an Fachkräfte wachsen stetig“, so Glybowskaja. Sie forderte unter anderem eine gesetzliche Verankerung der Kitasozialarbeit und eine stabile Fachberatung für die Einrichtungen. Die politische Verantwortung sei groß – nicht zuletzt angesichts einer gesellschaftlichen Stimmung, in der Frustration über Schließungen von Kindergärten auch politisch instrumentalisiert werden könne.
Fachliche Impulse und Diskussionen aus verschiedenen Perspektiven
Prof. Dr. Michaela Rißmann von der Fachhochschule Erfurt und Leiterin des Thüringer Instituts für Kindheitspädagogik (ThInKPäd) ging der Frage nach, inwieweit Modellprojekte wie „Vielfalt vor Ort begegnen“ oder „Sprach-Kitas“ zur Qualitätssteigerung beitragen können. Solche Projekte seien in der Regel mit zusätzlichen Ressourcen – finanziell wie personell – ausgestattet und bieten dadurch den Einrichtungen die Möglichkeit, Entwicklungsziele gezielt umzusetzen. Sie machte aber auch deutlich: Es sei ein Trugschluss zu glauben, dass der erfolgreiche Projektverlauf automatisch in die Fläche übertragbar sei oder dass Kitas ihren erreichten Standard nach Projektende aus eigener Kraft aufrechterhalten könnten.
Judith Adamczyk vom AWO Bundesverband ordnete die aktuelle Lage in den bundesweiten Kontext ein: Rund eine Million Menschen arbeiten in Deutschland in Kindergärten – bei gleichzeitigem Rückgang der Geburtenzahlen seit 2022 und einem bevorstehenden Renteneintritt der Babyboomer-Generation. „Frühkindliche Bildung muss als Standortfaktor begriffen werden – und als Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe und Gleichstellung“, so Adamczyk.
In einer Gesprächsrunde mit AWO-Fachkräften aus ganz Thüringen wurde deutlich: Die Anforderungen an Kindergärten steigen, die Ressourcen bleiben knapp. Die Fachkräfte beklagen lange Verfahren, viel Bürokratie und vor allem: zu wenig Zeit für das Wesentliche – gute pädagogische Arbeit mit dem Kind. Besonders betont wurde der Wunsch, Kitasozialarbeit flächendeckend zu etablieren, um Familien besser begleiten zu können.
Politik in der Verantwortung
In der abschließenden Gesprächsrunde diskutierten Vertreter und Vertreterinnen aus Landtag und Landesregierung mit den Teilnehmenden. Deutlich wurde: Es braucht langfristige Lösungen. Die Teilnehmenden forderten einen Transformationsfonds für schnelle Hilfe, strukturelle Stärkung der Kindergärten und eine stärkere volkswirtschaftliche Argumentation für frühkindliche Bildung.
„Modellprojekte sind gut – aber sie brauchen ein verlässliches Fundament“, so Katja Glybowskaja zum Abschluss. Sie kündigte an, dass sich die AWO weiter stark machen werde – für bessere Rahmenbedingungen, für eine starke Lobby der Kinder und für eine vorausschauende Entwicklung der Kindergartenlandschaft in Thüringen. Denn: „Die Frage, wie wir mit frühkindlicher Bildung umgehen, entscheidet mit darüber, wie wir künftig in Thüringen aufgestellt sind.“